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Von Martin Zips

Nur noch jeder zweite Bundesbürger wünscht sich ein Grab auf dem Friedhof. Als erstes Bundesland erlaubt Bremen jetzt, die Asche von Angehörigen auch im heimischen Garten zu verstreuen.

Die Revolution steht in Drucksache 18/1581, Seite 4: „Als Ausbringungsort kommen grundsätzlich alle privaten Grundstücke in Betracht.“ Verabschiedet an diesem Donnerstag in der Bremer Bürgerschaft. In der Freien Hansestadt darf damit ab Januar 2015 die Asche eines jeden Verstorbenen theoretisch überall verteilt werden. Als erstes Bundesland schafft Bremen den nach dem Feuerbestattungsgesetz von 1934 geltenden Friedhofszwang quasi ab.

Natürlich: Es gibt da allerlei zu beachten. Zum Beispiel, dass der Verstorbene „in einer schriftlichen Verfügung einen Verstreuungsort zur Ausbringung“ und eine „Person zur Totenfürsorge“ bestimmt haben muss. Diese Person sollte gleich nach Ableben des zu Verstreuenden nicht nur eine „Zustimmungserklärung des Grundstückseigentümers“ nachweisen, sondern auch eidesstattlich versichern, dass es beim Verstreuen nicht zu einer „unzumutbaren Beeinträchtigung benachbarter Grundstücke“ kommt.

Beim Senat für Umwelt, Bau und Verkehr in Bremen formuliert man es zusammenfassend so: „Am Ende muss klar sein, dass die Urne vom Opa nicht doch noch auf dem Kaminsims landet.“ Zum Beispiel, weil der Opa mit einem Familienmitglied etwas vereinbart hat, von dem alle anderen Angehörigen gar nichts wussten. „Dann hätte der Totenfürsorger einen Meineid geschworen“, erklärt Sprecher Jens Tittmann, „und das ist in Deutschland kein Bagatelldelikt. Dafür kann man auch mal ins Gefängnis wandern.“

Urne am Kaminsims? Verboten – Asche im Garten? In Bremen von 2015 an möglich

In Dänemark, den Niederlanden, Frankreich, Spanien, Irland, der Schweiz und Tschechien sind die Gesetze zur Totenruhe liberaler. In den USA kann man seine Asche sogar mit einer Rakete ins All schießen oder auf einem Meeresriff ins Salzwasser tauchen lassen. Deutsche Bestattungsunternehmen ermöglichen es Angehörigen immerhin, Verstorbene im Ausland verbrennen und deren Asche sich später per Post zuschicken zu lassen. Generell aber musste hierzulande immer auf Friedhöfen oder eigens dafür ausgewiesenen, allgemein zugänglichen Wäldern und Wiesen bestattet werden. Auch Seebestattung ist möglich. Aber nur, wenn der Verstorbene einen Bezug zum Meer hatte.

Und auch das ist kein Geheimnis: Der einst aus Gründen der Hygiene in Preußen verordnete Friedhofszwang war und ist für Kirchen, Kommunen, Bestattungsunternehmer, Blumenverkäufer, Kerzenhändler und Steinmetze ein äußerst einträgliches Geschäft. In Bremen ist die rot-grüne Mehrheit in der Bürgerschaft dennoch recht glücklich darüber, sich am Ende gegen die CDU und ihre guten Branchenkontakte durchgesetzt zu haben.

Dass das private Ausstreuen der Asche auf Privatgrund oder (in Bremen ab Januar auch möglich) auf eigens dafür ausgewiesenen öffentlichen Flächen den Angehörigen viel Geld ersparen kann, das ist natürlich nur die eine Sache. Den zweiten, vor allem zwischenmenschlich interessanten Aspekt konnten die Bremer am Ende auch nicht lösen: Was ist, wenn ein Grundstückbesitzer sich weigert, die Angehörigen eines (wieder zu Asche gewordenen) Menschen auf sein Grundstück zu lassen? Und was, wenn der Besitzer einmal wechselt? Für den Zerstäubten könnten das dann recht einsame Geburts-, Todes- und Allerheiligentage werden. „Klar“, gibt auch Jens Tittmann vom Bremer Bausenat zu, „dann haben wir das gleiche Problem wie mit der Urne auf dem Kaminsims.“

Der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode mahnt jedenfalls, der Umgang mit Toten sei alles andere als „ein Spiel mit Resten“. Es gibt viele Bedenken – von der katholischen Kirche wurde die Feuerbestattung erst 1963 erlaubt. Vertreter beider christlichen Kirchen befürchten eine „Privatisierung von Tod und Trauer“. Konservative Politiker verweisen auf die im Grundgesetz verankerte Totenruhe, die nur auf einem Friedhof garantiert sei. Ursprünglich hatten grüne Bremer Abgeordnete sich ja sogar ausgedacht, dass Angehörige die Urne zwei Jahre zu sich mit nach Hause nehmen könnten. Erst ein Gutachten warf Zweifel auf, ob dieses „postmortale Verfügungsrecht“ im Einklang mit der Verfassung stehe.

Auf das Ausstreuen bei „starken Windströmungen“ muss verzichtet werden

Durch den Bremer Vorstoß jedenfalls dürfte der allgemeine Friedhofszwang auch in anderen Bundesländern langsam bröckeln. Wegen des offenkundigen Widerspruchs (Asche auf einem abschließbaren Privatgrundstück ja, Urne in einer abschließbaren Wohnung nein) dürfte es wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis die „Urne auf dem Kaminsims“ auch hierzulande ganz legal wird. Eine Emnid-Umfrage im Auftrag eines gemeinnützigen Bestattungsvereins hatte vor einem Jahr ergeben, dass nur noch jeder zweite Bundesbürger für sich ein Sarg- oder Urnengrab am Friedhof wünscht. Jeder Zehnte bevorzugt die ewige Ruhe zu Hause.

Für die Bremer Bürger ist die Umsetzung dieses Wunsches ab Januar neben Blumen und Bäumen möglich. Allerdings muss der „Totenfürsorger“ eidesstattlich versichern, auf das Ausstreuen bei „starken Windströmungen“ zu verzichten. Die Asche des Toten könne sonst verblasen werden. Auch die „direkte Nachbarsgrenze“ ist für die ewige Ruhe tabu, es sei denn, es liegt „eine ausdrückliche Einwilligung“ vor. Nicht toleriert wird laut Bausenat zudem die Ausbringung der Asche auf dem Balkon. Schließlich könne der Regen den Toten in für ihn nicht vorgesehene Stockwerke spülen.

Wer über die korrekte Einhaltung aller erwähnten Vorschriften wacht, das muss in Bremen noch entschieden werden.


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Quelle: SZ vom 22.11.2014/ebri